Aktualisiert 23.2.2020
Laden an der Straßenbeleuchtung. Das Berliner Start-up-Unternehmen Ubitricity „hat eine Steckdose entwickelt, die sich in den Servicedeckel des Laternenmasts integrieren lässt. Sie kann sich selbst ein- und ausschalten und verfügt über einen Sensor, der erkennt, ob ein autorisierter Kunde an ihr zapft. Erkennungscode und Abrechnungssoftware bringt der Stromtanker mit dem Ladekabel mit. Die Materialkosten am Mast schätzt Ubitricity auf weniger als hundert Euro, diejenigen für das schlaue Kabel auf etwa den doppelten Betrag.“1
Einfach klingendes Konzept. „Parken und laden, so einfach könnte die Zukunft aussehen. Auto abgestellt, Kabel an die Laterne, schon läuft der Strom – jedenfalls bei dem Berliner Start-up Ubitricity. (…) Ein Spezialkabel leitet den Strom in die Batterie und rechnet per Funk auch gleich mit dem Stromversorger ab. Schon wird das Elektroauto geladen – mitten in der Stadt, im Parkhaus, im Carport.“2
Das ist eine Fiktion: Die gesamte Stromversorgung müsste neu verlegt und die komplette Mittelspannungsebene ausgebaut werden. Dazu wird in vielen Städten tagsüber oft die Straßenbeleuchtung ganz abgeschaltet.
Neues von Ubitricity. Frank Pawlitschek, Gründer und Co-Geschäftsführer des Berliner Start-ups Ubitricity, sieht die Ladepunkte an Straßenlaternen einfach: „Die Löcher sind schnell gebohrt.“3 In Berlin gibt es 188.000 Straßenlaternen, wovon bei rund 5000 eine Umrüstung möglich wäre. der Berliner Senat schrieb die Vergabe aus, sodass die diversen Konkurrenten im Wettbewerb standen: Ubitricity war früh draußen, da dessen Kapitalkraft angezweifelt wurde und dann die Technologie an sich im großen Maßstab. Außerdem hatte Ubitricity nicht das geforderte Mindestalter von drei Jahren.4 „Doch hinter dem komplizierten Verfahren stehen auch die Mühen der Ebene bei der Elektromobilität. Denn nach wie vor fehlen Standards, rund um Ladesäulen und Steckdosen selbst, aber auch bei der Abrechnung. So rechnen die meisten Anbieter gleich an der Säule ab. Bei Ubitricity dagegen ist das Kabel zugleich die Kommunikationszentrale – es meldet per Funk die Strommenge. So reicht die Dose zum Laden. Der Auftrag für den Bau mehrerer Hundert Ladesäulen gibt damit auch einen Hinweis, welche Technologie sich am Ende durchsetzen könnte.“3
Ubitricity verschenkt hundert Laternen-Ladestationen. Ubitricity, das auch Mittel vom Bundeswirtschaftsministerium erhält, machte Berlin nach dem Rauswurf aus dem Wettbewerb den Vorschlag, hundert Laternensteckdosen zu verschenken. Die Verhandlungen mit der Senatsverwaltung dauerten Monate, bis Ubitricity zunächst für 19 Laternen unter restriktiven Bedingungen die Erlaubnis zum Umrüsten erhielt, allerdings in ziemlich unattraktiven Gegenden. „Die attraktiven sind für den Sieger der Ausschreibung reserviert. Bleiben nur ein paar zentrale Steckdosen wie die an der Ministeriums-Laterne. Ursprünglich beantragt hatte die Firma übrigens dort eine Lizenz für drei Laternen.“3
Im November 2014 baute Ubitricity in Berlin in insgesamt 100 Lichtmasten Steckdosen ein. Die teilnehmenden Elektroauto-Fahrer haben ein Ladekabel, in dem ein Stromzähler eingebaut ist. „Die SIM-Karte überträgt Menge und Abrechnungsdaten. Die meisten anderen Anbieter rechnen direkt an der Dose ab. Den kommerziellen Start peilt Ubitricity für 2015 an, wenn der Anschluss in der Laterne in Serie geht, für 300 Euro pro Stück. Zum Vergleich: Eine eigene Ladesäule für Elektroautos kostet laut Energieversorgern rund 10.000 Euro.“5
Überall laden und zahlen. Das Ubitricity-System misst über den im Ladekabel integrierten Stromzähler den Ladestrom und rechnet wie mit einer Tankkarte ab. Marketingleiterin Alexa Thiele: „Im Ladekabel ist ein mobiler Stromzähler integriert. Jeder Ladevorgang wird erfasst, via Mobilfunknetz an uns übermittelt und für die Rechnungsstellung aufbereitet – egal ob an eigenen Stationen oder Fremdladepunkten.“6 – „Über ein webbasiertes Portal können alle Ladevorgänge, Rechnungen und Vertragsdaten aufgerufen werden. Außerdem finden sie in Echtzeit die nächstgelegenen Ladepunkte. Auf Wunsch installiert Ubitricity zum Ladekabel passende Systemsteckdosen für die heimische Garage.“7
Siemens steigt bei Ubitricity ein. Im November 2017 meldete manager-magazin.de, dass Siemens beim Start-up Ubitricity eingestiegen sei. Die Ubitricity-Technologie „nutzt gezielt die Digitalisierung im Energiebereich und erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle im Zukunftsmarkt der Energiedienstleistungen für die Elektromobilität. (…) Dabei geht es aber um mehr als das Laternenladen. Zusammen wollen die Unternehmen Produkte und Geschäftsmodelle für Smart Cities, Flottenbetreiber, Parkhäuser und die Immobilienwirtschaft entwickeln.“8
Autoindustrie uninteressiert. Ubitricity hatte die Idee mit der Laternen-Ladestation allen großen Autokonzernen angeboten, die aber kein konkretes Interesse hatten. Letztlich überlebte das Berliner Start-up, weil der Milliardär Heinz Dürr investierte.4
Siemens-Kooperation mit Ubitricity: Siemens: „Bis zu 200.000 der rund zehn Millionen Laternen in Deutschland könnten sofort mit entsprechenden Ladekabeln für E-Autofahrer ausgerüstet werden.“9
In London haben Siemens und Ubitricity Mitte März 2020 die „Electric Avenue“ eröffnet. „Mit den 24 neuen Ladestationen werden insgesamt 296 Straßenlaternen im Stadtbezirk Westminster angezapft. Die Idee ist clever: Weil die Lampen auf LED umgestellt werden, ist genügend Strom übrig, um Autos mit 5,5 kW zu laden.“10 Bis Ende 2021 soll es in Westminster 1000 solcher Ladepunkte geben.
- Wüst, Christian, Zweite Karriere der Laterne, in Der Spiegel 51/17.12.2012 [↩]
- Bauchmüller, Michael, Balser, Markus, Den Stecker gibt es schon, in SZ 26.1.2013 [↩]
- Bauchmüller, Michael, Aufladen am Lichtmast, in SZ 10.10.2014 [↩] [↩] [↩]
- Balser, Markus, Bauchmüller, Michael, Becker, Joachim, Hägler, Max, Heidtmann, Jan, Wunsch und Wirklichkeit, in SZ 5.1.2019 [↩] [↩]
- Reek, Felix, Es lade Licht, in sueddeutsche.de 11.11.2014 [↩]
- 5Martin-Jung, Helmut, Die Kraft des Kohlenstoffs, in SZ 7.6.2017 [↩]
- Martin-Jung, Helmut, Die Kraft des Kohlenstoffs, in SZ 7.6.2017 [↩]
- Sorge, Nils-Viktor, Siemens setzt auf Ladesäulen an Straßenlaternen, in manager-magazin.de 14.11.2017 [↩]
- Siemens Ingenuity for Life, Von der Energiewende zur Verkehrswende, Anzeige in SZ 13.9.2018 [↩]
- Becker, Joachim, Stecker sucht Dose, in SZ 21.3.2020 [↩]