Elektroauto Chronik eines Irrtums

November 2016

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Gewerkschaften hin- und hergerissen. Dieselskandal versus Elektromobilität – und letztere kostet Arbeitsplätze. Trotzdem hat die IG Metall einen Fünf-Punkte-Plan aufgestellt, um die CO2-Belastung durch den Individualverkehr zu reduzieren. Ein Durchbruch bei der Elektromobilität hätte einschneidende Folgen für die Beschäftigungssituation in der Autoindustrie, da allein beim elektrischen Antriebsstrang eine hochgradige Automatisation möglich ist und wesentlich weniger Teile verbaut werden müssen. „Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Ein führender Gewerkschaftsmann sagt es ungeschminkt: ‚Überall, wo Getriebe produziert werden, droht das Ende.‘ Trotzdem plädieren die Vordenker der IG Metall für eine Offensivstrategie. Die deutschen Konzerne sollten sich lieber an die Spitze der Bewegung setzen, als ihr weiter hinterherzueilen. Insbesondere China sei perspektivisch ‚der weltweit größte Markt für Elektromobilität und kann deshalb den Durchbruch elektromobiler Technologien und damit eine Mobilitätswende forcieren‘.“1

Tesla kauft zu. Im November 2016 übernimmt Tesla den Maschinenbaubetrieb Grohmann aus Rheinland-Pfalz. Grohmann beliefert die Autoindustrie (u. a. wohl auch BMW für die Produktion des i8), aber auch Halbleiter-, Medizintechnik- oder Pharmaindustrie mit Fertigungsanlagen und macht mit 790 Mitarbeitern etwa 123 Millionen Euro Umsatz. „Tesla will wachsen und braucht dafür Technologien und Ingenieure. Die Produktion des günstigeren Tesla-Massenwagens Model 3 soll bis 2018 von 50.000 auf 500.000 ausgebaut werden; 2020 will Elon Musk eine Million dieser Elektroautos verkaufen. Dafür kann er die Robotertechnologie aus Deutschland gut gebrauchen, zumal die Firma auch in China und den USA aktiv ist.“2

The Sounds of Silence. Die Behörden der USA schreiben jetzt vor, dass Elektroautos und Plug-in-Hybride bei geringem Tempo akustische  Warntöne abgeben müssen. „Am Montag verabschiedete die Regierung ein Gesetz, nach dem von September 2019 an alle betreffenden Autos ab einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde durch Geräusche Fußgänger, Fahrradfahrer und Sehbehinderte warnen sollen.“3VW warb im Herbst 2016 für VW-Elektroautos mit einem riesigen Banner in Hannover: „Enjoy the Silence – Powered by Volkswagen e-Mobility.“4
Leider kümmert sich der VW-Konzern bis heute kaum um Schadensbegrenzung bei seinem Diesel-Skandal.

Laden oder nicht laden. In Planung ist ein Schnelllagenetz für Elektroautos auf deutschen  Autobahnen; fraglich ist die Finanzierung durch die Autokonzerne. „Der Bund hat in diesem Jahr ein 300-Millionen-Euro-Programm für einen breiten Ausbau der Ladeinfrastruktur ab 2017 aufgelegt. Zusammen mit dem Raststättenbetreiber Tank & Rast baut der Bund seit 2015 ein erstes Servicenetz mit Schnellladesäulen an den Autobahnen auf – derzeit gibt es solche Stellen bereits an 60 Standorten. Bis 2017 sollen es insgesamt 400 sein. Daneben aber, heißt es in Berlin, arbeiteten mehrere Konzerne an eigenen Plänen für den Ausbau des Netzes.“5

Ladesäulen: kein Kerngeschäft der Autoindustrie. Die Ladesäulen sind teuer: Man spricht in der Autoindustrie von 35.000 Euro. Experten der Autoindustrie argumentieren, dass Bau und Betrieb der Ladesäulen nicht zu ihrem Kerngeschäft gehöre. „Nach Angaben von Lemnet, einem Verein, der die europäische E-Auto-Infrastruktur erfasst, besteht das Netz an Lademöglichkeiten für E-Autos deutschlandweit derzeit aus knapp 6600 Ladesäulen mit 18.500 Ladepunkten. In den viel kleineren Niederlanden zählte der Verein zuletzt 8400 Säulen mit knapp 12.000 Ladepunkten. (…) So verbauen deutsche Hersteller ein anderes Ladesystem als französische und japanische Hersteller, Branchenpionier Tesla verwendet wiederum eigene Technik.“5

VW großspurig. VW ist Kooperationen mit chinesischen Elektroauto-Herstellern eingegangen, da die Regierung dort verbindliche Quoten vorschreibt. Die von VW angegebenen Verkaufsziele sind ambitioniert: „Ab dem Jahr 2020 sollen dort jährlich 400.000 Fahrzeuge mit Elektro- oder Hybridmotor an die Kunden gebracht werden, wie Landes-Chef Jochem Heizmann im Vorfeld einer Branchenmesse in Guangzhou ankündigte. In diesem Jahr hat Volkswagen in der Volksrepublik einem Sprecher zufolge davon erst ‚mehrere hundert‘ abgesetzt. Diese wurden demnach alle importiert.“6 Im Jahr 2025 will VW weltweit eine Million Elektroautos pro Jahr verkaufen. Der VW-Markenvorstand (und spätere VW-Konzernchef) Herbert Diess: „Spätestens 2025 wollen wir Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein.“7

VW-Markt China – und die Kontingentierung. Der gesamte VW-Konzern setzt vierzig Prozent seiner Produktion in China ab; bei VW-Modellen beträgt diese Quote sogar 50 Prozent. Um die gravierende Luftverschmutzung durch den Autoverkehr zu mindern, präsentierte das Pekinger Ministerium für Industrie- und Informationstechnologie Ende September 2016 einen Gesetzentwurf, der eine verbindliche Quote für Elektroautos festlegt. „Und was die Hersteller am meisten beunruhigt: Sie soll bereits von 2018 an gelten. Der Entwurf sieht vor, dass dann für acht Prozent aller in China verkauften Fahrzeuge sogenannte Kreditpunkte gesammelt werden müssen, 2019 für zehn Prozent und 2020 für zwölf Prozent. Die Faustformel lautet: vier Punkte für ein Elektrofahrzeug, zwei Punkte für einen Plug-in-Hybriden. Im Fall von Volkswagen hieße dies, dass der Konzern bei derzeit etwa drei Millionen verkauften Autos in China 2018 bereits 60.000 E-Fahrzeuge absetzen müsste. Bei Plug-in-Hybriden mit einer elektrischen Reichweite von 50  Kilometern wären sogar 120.000 Exemplare notwendig.“7

Markteroberung durch E-Autos. Der europäische Dachverband der Verbraucherschutzorganisationen, BEUC, prognostiziert in einer am 28.11.2016 vorgestellten Studie, dass Elektroautos im nächsten Jahrzehnt deutlich billiger werden. Auch bezüglich Reichweite und Ladeinfrastruktur würden sich Verbesserungen ergeben. BEUC-Generaldirektorin Monique Goyens: „Im kommenden Jahrzehnt sollten Elektrofahrzeuge nicht mehr nur für Besserverdiener erschwinglich sein, auch für die breitere Masse werden sie aus finanzieller Hinsicht interessant.“8
Goyens verwies in der Pressemitteilung vom 28.11.2016 auch auf den wesentlich höheren Treibstoffverbrauch der Pkw, als der von den Herstellern angegeben Wert. Hierzu ist anzumerken, dass auch die Verbrauchswerte der Elektroautos ähnlich unrealistisch sind.

Kaufprämie noch relativ wirkungslos. Derzeit wirkt sich die Kaufprämie (4000 Euro für reine Elektroautos, 3000 Euro für Plug-in-Hybride) kaum aus: In drei Monaten wurden etwa 4500 Anträge gestellt.9

Ketchup-Flasche Elektroauto. Daimler-Vertriebsvorstand Ola Källenius (und Nachfolger von Dietmar Zetsche ab Anfang Juni 2019): „Elektromobilität ist wie eine Ketchup-Flasche. Wir wissen, dass etwas kommt. Aber wir wissen nicht, wann und wie viel es sein wird.“9

Gemeinsam schnell laden. Sechs Autokonzerne gaben am 29.11.2016 den Aufbau von 400 Schnellladestationen an den großen Verkehrsachsen in Europa schon bis zum Jahr 2017 und bis 2020 von Tausenden Stationen bekannt. „Für das Vorhaben schließen sich die Hersteller Daimler, BMW, der Volkswagen -Konzern mit seinen Töchtern Audi und Porsche sowie der US-Autobauer Ford zusammen. (…) Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA) gibt es in Deutschland derzeit 6800 öffentliche Ladepunkte, nur rund 150 sind Schnellladestationen.“10

Bedarf von 100 Einfamilienhäuser. Die in Städten üblichen heutigen Ladesäulen mit 230 Volt kosten zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Sie haben keine große Ladeleistung: Ein kleiner Smart benötigt etwa sechs Stunden. Nun kommen die schweren Elektroautos wie z. B. der Porsche Taycan oder der Mercedes EQC. Das vorgegebene Ziel der neuen Schnellladesysteme: 80 Prozent der Akkuleistung in 20 bis 30 Minuten – mit entsprechender Ladeleistung. „Dann aber muss der Bedarf für 100 Einfamilienhäuser in kurzer Zeit aus dem Kabel kommen. Die Stecker werden dabei so warm, dass Kühlsysteme eingebaut werden müssen. Diese Hochleistungs-Zapfsäulen von ABB oder Siemens kosten 100.000 bis 150.000 Euro.“11
Und das soll alles mit „Ökostrom“ versorgt werden.
Vgl. auch: Schnellladestationen

Die Stromkosten steigen! Die deutsche Elektroautoindustrie wird mit den Energieversorgern kooperieren müssen, da die Strom-Infrastruktur ja in Händen der Energieversorgungsunternehmen (EVU) liegt: Und diese müsste komplett um- und ausgebaut werden. Dazu kommt die Frage, wer die Kosten übernimmt, denn es gilt immer noch das Henne- und Ei-Prinzip auf dem Markt der Elektroautos: Werden so wenig gekauft, weil es keine elektrische Infrastruktur gibt, oder gibt es diese nicht, weil sie sich für so wenig Elektroautos nicht rentiert? In jedem Fall könnte es teuer werden: für die Kunden, die Fahrer der Elektroautos. Denn die Bereitstellung für den Elektroauto-Strom nebst Infrastruktur dürften sich die EVUs gut bezahlen lassen: Von bis zu 80 Cent pro kWh ist die Rede. „Der Tankwart darf sich dann wohl einiges anhören. Eine Batteriefüllung könnte mit bis zu 80 Euro noch etwas mehr kosten als einmal Volltanken mit Benzin.“12
Deshalb sind die großen Stromversorger wieder dabei: Da wird man auf Strom aus fossilen Kraftwerken zurückgreifen müssen, denn nur mit Strom aus erneuerbaren Energien wird der staatlich gewünschte und subventionierte Ausbau der Elektromobilität nicht zu bewerkstelligen sein.

Elektroauto-Verkäufe 2010 bis 2015. Die Verkaufszahlen für reine Elektroautos stiegen von 541 im Jahr 2010 auf 12.363 im Jahr 2015; für Hybrid-Autos von 10.661 im Jahr 2010 auf 33.630 im Jahr 2015.13

Elektroautos-Hype nur in Kalifornien. Der in Europa bewunderte Elektroauto-Hype der USA ist eher eine Euphorie, wie Thomas Harloff in der SZ bemerkt. Und diese existiert im sonnigen Kalifornien, nicht im Rest der USA. „Wurden zwischen Ost- und Westküste 2014 noch etwa 120.000 Batterieautos verkauft, waren es ein Jahr später 5000 weniger. Und dass, obwohl der Staat eine Kaufprämie von 7500 Dollar zuschießt und einige Bundesstaaten Steuererleichterungen gewähren. Kalifornien beispielsweise unterstützt Elektroauto-Käufer mit 2500 Euro zusätzlich. (…) Eine Infrastruktur, die es Elektromobilisten ermöglicht, ihr Auto praxisgerecht nutzen zu können, gibt es – na klar – nur in Kalifornien. Mehr als 11.000 öffentliche Stationen zählen die einschlägigen Websites im Westküsten-Staat. Auf Platz zwei liegt Texas mit 2000. North Dakota hat sieben. (…) Hinzu kommen etwa 340 Standorte von Tesla, von denen allein 49 in Kalifornien liegen.“14

  1. Böll, Sven, Knaup, Horand, Traufetter, Gerald, „Wechsel bei Vollgas“, in Der Spiegel 45/5.11.2016 []
  2. Fromm, Thomas, Zum Shoppen in die Eifel, in SZ 9.11.2016 []
  3. Reuters, Warntöne für E-Autos, in SZ 15.11.2016 []
  4. Matzig, Gerhard, Sounds of Silence, in SZ 17.12.2016 []
  5. Balser, M., Fromm, T., Hägler, M., Völklein, M., Netz für den Saft, in SZ 16.11.2016 [] []
  6. Reuters, VW will in China mit E-Autos punkten, in SZ 18.11.2016 []
  7. Giesen, Christoph, Zur Offensive gezwungen, in SZ 19.11.2016 [] []
  8. Zur Pressemitteilung: hier; zum gesamten Bericht: hier). Vgl. auch: Becker, Joachim, Elektroautos für alle, in SZ 28.11.2016 []
  9. Becker, Joachim, Elektroautos für alle, in SZ 28.11.2016 [] []
  10. Deutsche Hersteller planen Schnellladenetz für E-Autos, in spiegel.de 29.11.2016 []
  11. Balser, Markus, Fromm, Thomas, Hägler, Max, Die Säulen des Erfolgs, in SZ 30.11.2016; Hervorhebung WZ []
  12. Balser, Markus, Fromm, Thomas, Hägler, Max, Die Säulen des Erfolgs, in SZ 30.11.2016 []
  13. Durcheinander, in SZ 30.11.2016; Quelle: KBA []
  14. Harloff, Thomas, Begrenzte Möglichkeiten, in SZ 30.11.2016 []
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