Elektroauto Chronik eines Irrtums

Juni 2009

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Pro Elektroauto. Dietmar Schütz, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), zur Elektromobilität: „Elektromobilität ist eine vielversprechende Option, denn sie macht unabhängig von fossilen Ressourcen, bedeutet weniger Fahrzeuglärm und keine lokalen Schadstoffemissionen sowie mehr Energieeffizienz. Eine weitreichende Klima- und Umweltentlastung entwickelt Elektromobilität allerdings erst in Kombination mit erneuerbaren Energien. Nur regenerativer Strom ermöglicht eine gute CO2-Bilanz für Elektrofahrzeuge. Gleichzeitig können Batterien von Elektroautos als dezentrale Energiespeicher Produktionsspitzen aus Wind- und Solarenergie aufnehmen, wenn sie in ausreichend großer Zahl am Netz sind. Damit tragen Elektrofahrzeuge unmittelbar zur Netz- und Systemstabilität der Stromversorgung bei. Erneuerbare Energien und Elektromobilität sind somit natürliche Partner, die sich perfekt ergänzen.“1
Das ist die offizielle Position des obersten Lobbyisten für erneuerbare Energien.

Kontra Elektroauto. Helmut Holzapfel, Verkehrswissenschaftler an der Universität Kassel: „Wie immer bei einem Hype werden beim E-Mobil viele Probleme übersehen. Diese liegen vor allem in der Versorgungsinfrastruktur. Die neuen Chancen für Elektroautos sollen sich dadurch ergeben, dass sie nicht nur – wie schon seit Jahrzehnten – für Kurzstrecken eingesetzt werden, sondern auch im Regional- und Fernverkehr, als Ersatz für unsere heutigen Fahrzeuge. Trotz größerer Reichweiten moderner Batterien heißt das: Es muss unterwegs getankt werden. Und das dauert eher Stunden als Minuten. Eines der beiden Konzepte für die Lade­Infrastruktur setzt auf Ladesäulen im öffentlichen Raum – bei von der Bundesregierung geplanten 750.000 Tanksäulen eine Milliardeninvestition. Dieses Konzept kann nicht funktionieren. Stellen wir uns eine Autobahntankstelle im Urlaubsverkehr vor, an der der Tankrüssel länger als zwei Stunden in den Fahrzeugen steckt. Riesige Tankflächen an Autobahnen als Lösung? Und was ist in der Provinz? (…) Die ökologische Gesamtbilanz der Elektrofahrzeuge sieht zudem noch verheerender als ohnehin aus, wenn die Aufwendungen für Infrastruktur mitgerechnet werden.“2

Gerd Lottsiepen vom VCD: „Freunde der E-Autos stellen den Batteriekosten entgegen, dass der Strom für 100 Kilometer nur ein oder zwei Euro kostet. Sie machen allerdings die Rechnung ohne die Stromversorger und ohne den Finanzminister. RWE, Vattenfall und Co. werden sich die Investitionen für die Ladestationen bezahlen lassen. Der Finanzminister wird sich spätestens dann melden, wenn die Einnahmen aus der Mineralölsteuer deutlich sinken. Elektroautos sollten klein und leicht sein. Sie werden eine Reichweite von 50 bis 200 Kilometern haben. Größere Reichweiten machen mit heute absehbarer Technik keinen Sinn. Die Autos würden schwer wie Panzer und immer teurer. Das E-Auto eignet sich also kaum als Familienauto. Als Zweit- oder Drittauto gefällt es der Autoindustrie, aufgeklärten Verbrauchern dürfte es aber zu teuer sein.“3

München wird Modellregion. München soll  laut Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) eine von acht Modellregionen für „Elektromobilität“ werden und erhält dafür einen zweistelligen Millionenbetrag. 700 Millionen Euro wird der Bund bis 2015 für die Förderung von Elektroautos zur Verfügung stellen. „Insgesamt 115 Millionen Euro will das Ministerium in den acht Regionen investieren. München habe wegen des Nebeneinanders von Autoindustrie, großen Energieversorgern und interessanten Forschungsinstitutionen den Zuschlag erhalten, hieß es in Berlin.“4 Die anderen Modellregionen sind Stuttgart, Berlin, Hamburg, Bremen und die Großräume Rhein-Ruhr und Rhein-Main sowie Sachsen.5

Elektrisch rasen (1): Kein grüner „Greenster“. Der Porsche-Tuner Ruf wird 2010 den elektrifizierten „Greenster“ für 160.000 Euro auf den Markt bringen: Der Elektromotor hat 250 kW (370 PS) und ein Drehmoment von gigantischen 950 Nm.Von Null auf 100 km/h benötigt der Greenster unter fünf Sekunden, Vmax ist 250 km/h. „Die Ladung reicht für 250 Kilometer, zum Aufladen benötigt der eRuf 380-V-Drehstrom wie ein Elektroherd und etwa eine Stunde.“6

Tesla kommt nach München. Im Juli 2009 wird Tesla eine Niederlassung in der Münchner Innenstadt an der Blumenstraße eröffnen und 2010 mehr als 250 Exemplare des Roadsters in Deutschland verkaufen. 7 20 Tesla Roadster für 99.000 Euro waren umgehend verkauft.8 „Ein beherzter Tritt aufs Gaspedal, und die 6000 Lithium-Ionen-Akkus, die im Heck des Wagens gebündelt sind, geben die 185 kW, also rund 250 PS, für einen blitzartigen Zwischenspurt frei. Wenn man wollte, wäre die 100-km/h-Marke in knapp vier Sekunden passiert. Da kommt ein Porsche Carrera GT 3 gerade noch mit.“9 Tesla-Verkaufsdirektor Craig Davis war von 1998 bis 2001 bei Coca Cola, danach von 2001 bis 2008 bei BMW Mini, danach bei Tesla München und bis 2011 Tesla-Europachef.10 „3,7 Sekunden von null auf hundert‘, sagt Craig heute. ‚Damit hängt man jeden Porsche ab.‘ (…) Nicht nur äußerlich passt Davis zu jenen Menschen, die er ‚Mitglieder einer neuen grünen Bewegung‘ nennt. Ökologie sei nicht Verzicht, sondern vor allem Spaß, so Davis. Den Planeten schützen, klar. Aber Spaß muss sein.“ [13; Hervorhebung WZ]

Nächste Prognose für 2020: 2,4 Millionen. Das Bundesumweltministerium hat im Mai 2009 geschätzt, dass bis zum Jahr 2020 zwei Millionen Elektroautos in Deutschland zugelassen sein könnten. Die Leiterin der Abteilung Neue Geschäfte beim Stromkonzern RWE, Carolin Reichert, hält für das Jahr 2020 die Zahl von 2,4 Millionen Elektroautos für realistisch. „Danach werde wohl jede fünfte Neuzulassung ein Elektroauto sein, sagte Reichert am Dienstag auf dem Ersten Deutschen Elektro-Mobil-Kongress in Bonn.“11
Bis 2015 stellt der Staat 700 Millionen Euro zur Förderung der Elektromobilität bereit. „Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2020 mindestens eine Million Elektro- und Hybridfahrzeuge auf die Straße zu bringen.“11
Dieses Ziel wird gründlich verfehlt werden.

Neue Elektroauto-Freunde. Ende Juni 2009 veröffentlichten Weert Canzler und Andreas Knie in der taz den Aufsatz „Das vernetzte Auto“ und wandten sich gegen das Leitbild der „Rennreiselimousine“. 100 Kilometer Reichweite müssten genügen, dazu regenerativ erzeugter Strom und Carsharing – und schon ist die Neuerfindung des Automobils gelungen.12 Canzler und Knie werden 2011 das Buch „Einfach aufladen – Mit Elektromobilität in eine saubere Zukunft“ veröffentlichen.13
Wenn Canzler und Knie 2009 gewusst hätten, dass 2018 elektrisch betriebene „Rennreiselimousinen“ kurz vor der Markteinführung sind und sie zu deren Einführung beigetragen haben…

  1. Schütz, Dietmar, Nachhaltig und vielfältig, in fairkehr 6/2009 []
  2. Holzapfel, Helmut, Tanken? Unklare, teure Sache! in fairkehr 6/2009 []
  3. Lottsiepen, Gerd, Nur als Carsharing-Fahrzeug, in fairkehr 6/2009 []
  4. Bauchmüller, Michael, München fährt mit Strom, in SZ 2.6.2009 []
  5. Bund fördert Elektroautos, in SZ 2.6.2009 []
  6. Martin-Jung, Helmut, Volle Ladung, in SZ 2.6.2009. Siehe auch Kritisches Elektroauto-Lexikon: Elektrisch rasen []
  7. Conradi, Malte, Mit Strom durch die Straßen, in SZ 5.6.2009 []
  8. Fritscher, Otto, „Uns geht der Strom nicht aus“, in SZ 10.7.2009 []
  9. Fritscher, Otto, Lautlos auf Tour, in SZ 10.7.2009. Siehe auch Glossar: Elektrisch rasen []
  10. Fromm, Thomas, Mühlauer, Alexander, Nichts für Spaßbremsen, in SZ 25.11.2009; LION E-Mobility AG meldet Verpflichtung von Craig Davis, ehemaliger Tesla Europa-Chef, www. Irw-press.com 12.102011 []
  11. dpa, Mit Strom auf die Straße, in SZ 17.6.2009 [] []
  12. Canzler, Weert, Knie, Andreas, Das vernetzte Auto, in taz 27.6.2009 []
  13. Canzler, Weert, Knie, Andreas, Einfach aufladen – Mit Elektromobilität in eine saubere Zukunft, München 2011 []
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