Aktualisiert 25.12.2020
Intro: München will nun auch noch die IAA 2021 und folgende durchführen: als ob diese Stadt nicht schon genügend Großveranstaltungen hätte. Und was zunächst als Schaufenster für „alternative“ Antriebsmodelle“ vulgo Elektromobilität im Olympiapark beworben wurde, stellt sich nun als von der Stadtspitze geheim ausgehandelte Okkupierung der Münchner Innenstadt für den Zeitraum von über zwei Wochen heraus. Letztlich werden dann wieder die altbekannten Verbrennermodelle wie Riesen-SUVs und Tempoboliden gefeiert und der Ideologie der ungebremsten Höchstgeschwindigkeit gefrönt: und das alles zu Zeiten der Klimakatastrophe. (Vgl: Elektrisch rasen; SUV, elektrisch; Tempolimit)
München will IAA. Die Internationale Automobilausstellung bzw. ihr Veranstalter VDA flüchtet aus Frankfurt: wegen sinkender Zuschauerzahlen und steigender Umweltproteste. Im Redemanuskript von Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) stand, dass die Stadt „mehr Busse und Bahnen, aber nicht mehr SUVs“ brauche: Seine Eröffnungsrede entfiel dann – offiziell aus Zeitgründen.1 Neue Bewerber für die IAA sind München, Frankfurt (erneut und trotz alledem), Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart und Hannover. Münchens Bewerbung war – leider – erfolgreich, siehe März 2020. Münchens Messechef Klaus Dittrich: „Wir können Großveranstaltungen.“2
München: neue Hauptstadt der Auto-Bewegung (1). Weil die bayerische Landeshauptstadt nicht genug bekommen kann, wird nun auch noch das Event IAA an die Isar geholt. Berlin und Hamburg haben verloren, und Frankfurt schied schon früh aus: zu viele Gegendemonstranten 2019 – und ein kritischer Oberbürgermeister. Der VDA: „München hat auch damit überzeugt, die Innenstadt und citynahe, hochattraktive Plätze als Event Locations zur Bühne der IAA zu machen. Diese Locations sollen über eine Transfer-Route samt Vorrangspuren für umweltfreundliche Fahrzeuge mit dem modernen Messegelände verbunden werden.“3. Die „Blue Lanes“ sollen für Shuttle-Busse, E-Fahrzeuge und natürlich für VIP-Partner eingerichtet werden.4
Die „Vorrangspuren“ für die Elektromobilität erinnern an die Olympic Lanes für die Funktionäre des IOC. Da hat die Landeshauptstadt ja schon bei München 2018 (durchgefallen) und München 2022 (abgewählt) üben können.
Die Messe München zahlt einen mittleren siebenstelligen Betrag dazu, die Bayerische Staatsregierung ist mit 15 Millionen Euro dabei.5 Die Demonstranten gegen die Verehrung des Autos werden auch in München zu finden sein, siehe Pressemitteilung des Bund Naturschutz vom 3.3.2020: „Als Reaktion auf Presseberichte denen zufolge die Internationale Automobilausstellung (IAA) im Jahr 2021 in München veranstaltet werden soll, kündigt der BUND Naturschutz (BN) Proteste an. Der Vorsitzende des BN, Richard Mergner, kommentiert die Meldungen wie folgt: „Die IAA steht mit ihrer Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr und SUVs für eine Mobilitätspolitik von vorgestern. Dagegen werden wir in München gegebenenfalls genauso groß wie in Frankfurt protestieren. (…) Unser Protest richtet sich auch gegen die verfehlte Verkehrspolitik von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der es bislang genau wie seine Vorgänger im Amt versäumt hat, die Weichen für eine echte Verkehrswende hin zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zu stellen. Dass die bayrische Staatsregierung die Austragung der IAA in München mit rund 15 Millionen Euro unterstützen will, ist ein Skandal. Damit offenbart die Staatsregierung ihre wahre Einstellung zum Klimaschutz.“6
München: neue Hauptstadt der Auto-Bewegung (2). Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bringt nun noch das „Deutsche Zentrum Mobilität der Zukunft“ nach München und lobt sich: „Wir wollen die Mobilität und die Digitalisierung zusammenbringen.“7 500 Millionen Euro sollen investiert werden, um alternative Kraftstoffe, Stadtentwicklung und Mobilitätskonzepte zu untersuchen. Und Scheuer präsentiert die nächste ganz wichtige Idee – Elektrische Flugtaxis: „Also zum Beispiel die Frage, welche Hauptbahnhöfe ertüchtigt werden müssen, damit auch Drohnen und Flugtaxis landen können.“7
Neues von der IAA 2021 (1): Münchner Zentrum blockiert. Sie findet vom 7. bis 12.9.2021 in München statt. Benötigt werden der Königsplatz, der Wittelsbacherplatz, der Odeonsplatz mit Ludwigstraße bis zur Galeriestraße, Max-Joseph-Platz und Marienplatz. Mit Auf- und Abbau werden diese Orte bis zu 16 Tage blockiert. Der Olympiapark wird aufgrund „der Vorbehalte der Automotivunternehmen“ nicht mehr benötigt. Die IAA 2021 präsentiert den „Summit“ auf dem Messegelände und den „Open Space“ im (blockierten) Zentrum. Verbrennermodelle fungieren unter „emissionsarme Antriebe mit neuer Filtertechnologie“.8 Unter dem Aspekt „Smart City“ werden u. a. präsentiert „die Themen Multimodialität (Nutzung mehrerer Verkehrsmittel etwa auf dem Weg zur Arbeit) und Shared Mobility (das Teilen von selbst bewegten Fahrzeugen wie Autos oder E-Scootern).“8
Baumgärtner verhandelte geheim. Der alte Münchner Stadtrat hat dies alles am 29.4.2020 in nichtöffentlicher Sitzung genehmigt. „Der Beschuss habe im April fallen müssen, weil die Messe München als Ausrichterin noch im selben Monat die Verträge mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) unterzeichnen habe müssen, schreibt Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner in der Vorlage.“9
Das muss man sich einmal vorstellen: Der VDA sucht händeringend nach der Blamage mit Frankfurt einen Ausrichter, und die Münchner Stadtverwaltung setzt unterwürfig und beflissen auf den letzten Drücker eine nichtöffentliche Sitzung des Stadtrats an. Der Münchner Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) rechtfertigt dieses Vorgehen auch noch bedingungslos. Baumgärtner hat schon – ebenfalls meist in vertraulichen Verhandlungen -, Amazon, Apple und Google Platz in der jetzt schon komplett überforderten Stadt verschafft. Originalton Baumgärtner: „Ich habe in weiten Teilen meinen Schweigepflichtkrimskrams unterschrieben.“10
„In vorauseilendem Gehorsam“ hat man das früher genannt.
Baumgärtners kritiklose Fortschrittseuphorie sieht so aus „Wenn alles immer beim Alten geblieben wäre, sagt er, führen wir noch mit Dampfloks und drehten am Telefon die Wählscheibe.“10 Und die Münchner Entwicklung beschreibt Baumgärtner so: „Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir die Münchner in der Stadt behalten, die für einen Google- oder einen Apple-Manager das Haus bauen oder in der Kantine das Obst schneiden.“11
Klingt ein bisschen nach Sklavenhaltergesellschaft 2.0. Nicht nur als geborener Münchner finde ich diese von Baumgärtner zutiefst ehrlich gemeinte Aussage unglaublich und überheblich, arrogant und abstoßend.
Neues von der IAA 2021 (2): Die VIP-Spuren. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat hält die Einrichtung von sogenannten „High Occupance Vehicle Lanes“ (HOV) auf Transferachsen vom Messegelände zum Zentrum bis zum September 2021 für unmöglich: Diese Strecken sollen in zwölf Minuten ermöglicht werden. Hierzu müssten auf der A 94 und der Prinzregentenstraße für den Straßenverkehr Spuren gesperrt werden. Eine Voruntersuchung sich müsste hier u. a. mit den dadurch entstehenden Staus, der Verlagerung von Verkehrsströmen und einer vorschriftsmäßige Nutzung der HOV-Spuren befassen.8
Neues von der IAA 2021 (3): Widerspruch. Der bis April 2020 amtierende Stadtrat Herbert Danner (Bündnis 90/Die Grünen) hat an seinem letzten Tag als Stadtrat bei der Regierung von Oberbayern Widerspruch gegen den Stadtratsbeschluss eingereicht: Der Beschluss hätte in einer öffentlichen Sitzung gefasst werden müssen, da für eine Geheimhaltung „keine relevanten persönlichen oder finanziellen Tatbestände“ vorgelegen hätten. Das Interesse der Öffentlichkeit sei elementar, da 6,3 Hektar öffentliche Fläche für die IAA zur Verfügung gestellt würden. Die Regierung von Oberbayern will eine Stellungnahme der Stadt einholen und rechtsaufsichtlich prüfen. Auch Thorsten Keller vom Bund Naturschutz kritisierte dies: „Ein derart weitreichender Eingriff in den öffentlichen Raum – ohne Beteiligung der Öffentlichkeit – ist ein Affront ohnegleichen.“12 Der CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl sieht dagegen eine „einmalige Chance“ für die Darstellung der Mobilität der Zukunft. Für ihn ist es „nicht erklärlich, wie man auf diese Umsätze verzichten kann“. SPD-Stadtrat Joachim Vorländer betonte die „Nachhaltigkeit“ der Open Spaces und meint: „Es wird keine VIP-Bereiche geben.“13 Der Noch-Vorsitzende des Bezirksausschusses Maxvorstadt, Christian Krimpmann (CSU) meinte, man solle sich nicht wehren gegen diese „bedeutende Veranstaltung von internationaler Tragweite“ in München: Das muss man größer denken, da geht es um den Wirtschaftsstandort München und Bayern.“12
Der Ausverkauf: Die Corona-Pandemie dient inzwischen als Rechtfertigung für jegliche angeblich wirtschaftsfreundliche Aktivität: So wird das Zentrum Münchens – entgegen der ursprünglichen Pläne mit dem Olympiapark -, in einer Nacht- und Nebenaktion für zwei Wochen an die IAA ausgeliefert.
Andreas Schubert schrieb dazu in einem SZ-Kommentar: „Trotzdem hätte vorab ein Dialog stattfinden müssen – nicht mit den Autobauern, sondern mit den Bürgern. (…) Die IAA bleibt eine riesige Werbeveranstaltung, die nun die schönsten Flecken der Stadt tagelang belegen darf.“14
19 Umweltverbände gegen geheimen Stadtratsbeschluss. Gegen den in geheimer Sitzung gefasten Stadtratsbeschuss vom 29.4.2020 protestierten 19 Umweltverbände, u. a. Green City, Pro Bahn, VCD, ADFC, Bund Naturschutz, Fridays for Future, Naturfreunde, Landesbund für Vogelschutz, Ornithologische Gesellschaft in Bayern, etc. Aus dem Offenen Brief:
„Vor dem Hintergrund einer immer dringenderen Diskussion um die zukünftige Gestaltung der urbanen Mobilität in München erschien uns das Bestreben, eine Internationale Automobilausstellung ausgerechnet in unsere Stadt zu holen, mehr als fragwürdig. Wie sollen sich Abkehr vom motorisierten Individualverkehr einerseits und automobile Leistungsschau andererseits vertragen? Eine automobile Leistungsschau als globale Leitmesse im Messegelände zu veranstalten ist aus unserer Sicht bereits hoch kritisch. Dem Veranstalter aber praktisch alle namhaften öffentlichen Plätze in der Innenstadt zusätzlich zu überlassen in der vagen Hoffnung, die von der Stadt genannten ‚Vorgaben‘ würden schon eine ’nachhaltige‘ und ‚innovative‘ Schau gewährleisten, von der ein substantieller Beitrag zur zukünftigen urbanen Mobilität zu erwarten ist, verurteilen wir scharf. Einen derart und sowohl räumlich wie inhaltlich weitreichenden Eingriff in den öffentlichen Raum in einer nichtöffentlichen Sitzung abschließend und ohne Einbeziehung der betroffenen Bezirksausschüsse zu verhandeln, sehen wir als Missachtung aller sonst in der Landeshauptstadt München geltenden Partizipationsgrundsätze an. (…) Als Landeshauptstadt lediglich einen parallel zur IAA stattfindenden ‚Mobilitätskongress‘ auszurichten, und gleichzeitig dem VDA wesentliche Teile des öffentlichen Raumes zu überlassen, ist ein Armutszeugnis und den Ansprüchen der Stadt München nicht würdig. (…) Wie inhaltsleer die derzeitige Diskussion und die dabei verwendeten Begriffe ‚innovative Mobilität‘ oder ‚Innovationsfelder‘ tatsächlich sind, veranschaulicht bereits die aktuelle Positionierung des VDA gegen die geltenden CO2 Minderungsziele auf Bundes- und Europaebene. Mit dem alleinigen Austausch von Verbrennungsmotoren gegen andere Antriebssysteme wird zudem ein monokausaler Lösungsansatz verfolgt, bei dem alle anderen Problemfelder des motorisierten Individualverkehrs ausgeblendet werden, eine mitnichten zukunftsorientierte Betrachtungsweise.“ (Offener Brief zur Nutzung öffentlicher Räume in der Stadt München im Rahmen der IAA, München 13.5.2020; Hervorhebung WZ))
Zum Offenen Brief des Bund Naturschutz und der Umweltverbände vom 13.5.2020: hier
SPD-Stadtrat Christian Vorländer bezeichnete dagegen diesen Beschluss als „richtig und wichtig“. Die Entscheidung vom Februar 2020 sei im Übrigen auch mit den Stimmen der Grünen getroffen worden.15
Proteste von Umweltverbänden und Lokalpolitikern. Die 19 Münchner Umweltverbände (siehe oben) hatten kritisiert, dass der Stadtratsbeschluss die betroffenen Bezirksausschüsse (BAs) überging und forderten den Stadtrat in einem Offenen Brief auf, den Beschluss zurückzunehmen. Der Bund Naturschutz bezeichnete die Aussperrung der Öffentlichkeit als einen „Affront ohnegleichen“. Die Maxvorstädter SPD erfuhr von den Plänen nur aus Zeitungsberichten und sah einen „eklatanten Verstoß gegen die BA-Satzung“ und schrieb: „Eine solch massive Veranstaltung im Hinterzimmer zwischen Feriensenat des Stadtrats und Wirtschaftsreferent in nichtöffentlicher Sitzung auszukungeln, ist nicht hinnehmbar.“16 – Besonders apart: Der abgewählte Vorsitzende des Bezirksausschusses Maxvorstadt, Christian Krimpmann (CSU), „sah zuletzt allerdings kein Problem darin, dass das Gremium nicht gehört worden ist. Man müsse eine Veranstaltung wie die IAA größer denken, sagte er, ‚da gehe es um den Wirtschaftsstandort München und Bayern‘.“16
Die nächste Klage. Nach Herbert Danner reichte nun auch der Bezirksausschuss Maxvorstadt bei der Regierung von Oberbayern Widerspruch dagegen ein, dass die Stadt in einer nichtöffentlichen Sitzung der IAA bzw. dem Veranstalter VDA die schönsten Flächen der Münchner Innenstadt wie Odeonsplatz, Max-Josephplatz, Wittelsbacherplatz und Königsplatz zur Verfügung stellte, ohne die betroffenen Lokalgremien anzuhören. „Die örtliche SPD zeigt sich nun in einem Antrag ‚empört über diesen eklatanten Verstoß gegen die BA-Satzung‘; die Grünen schreiben von einer ‚Okkupation der öffentlichen Räume“.17
Neues vom Münchner Bezirksausschuss Altstadt-Lehel. Der BA Maxvorstadt hatte schon kritisiert, dass die Bezirksausschüsse nicht einbezogen waren. Der BA Altstadt-Lehel fordert nun auf Initiative von SPD und Grünen die Stadt auf, in der nächsten öffentlichen BA-Sitzung die genaue Planung vorzustellen und den BA einzubeziehen. Auf der nächsten Sitzung am 7.7.2020 soll diese Information seitens der Stadt erfolgen. Philippe Louis (Bündnis 90/Die Grünen, im BA als parteifrei angegeben) monierte, dass es um die Gestaltung des öffentlichen Raums „bei uns in der Altstadt“ gehe: „Da wird einfach so gesagt, diese Plätze nehmen wir. So geht das nicht.“18 Dagegen gab sich Bernhard Wittek (CSU) verwundert über die Kritik im BA an der Stadt: Für die gewünschte Belebung der Innenstadt sei die IAA auf den zentralen Plätzen doch eine „wichtige Sache“, ebenso für die Gastronomie: „Für mich sieht das eher nach einem Versuch aus, ein politisches Zeichen gegen die IAA zu setzen.“18 Jörg Hoffmann (FDP, im BA als parteifrei angegeben), ist „sehr froh“, dass die IAA München gewählt hat. Die IAA tue der Stadt ausgesprochen gut. Das Klein-Klein im BA sei nicht gut. „Mit so einem Antrag machen wir uns leider keine Freunde.“18 Julia Rothmayer (SPD) kritisierte, dass die „Open Spaces“ viel Platz im öffentlichen Raum einnehmen würden: „Nach der Methode ‚Friss oder Stirb‘ könne das einfach nicht entschieden werden.“18
2021, 2023 und vielleicht 2025. Am 15.6.2020 gab eine Sprecherin der Messe München bekannt, dass die IAA in München mindestens 2021 und 2023 stattfinden wird, dazu besteht eine Option für 2025. VDA-Präsidentin Hildegard Müller äußerte: „Unser Ziel ist es, während der Messe mit vielen Autofahrern, Experten und Querdenkern ins Gespräch zu kommen.“19
Sehr wahrscheinlich aber mit keinen Kritikern.
BN möchte IAA verbessern. Die Münchner Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN) möchte die Verkehrswende in München mit dem LIVING CITY LAB während der IAA 2021 in München fördern. Es sollen Möglichkeiten gezeigt werden, wenn Autos nicht mehr das Gesicht der Stadt dominieren und der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Stadt München soll hier die Interessen der nachhaltigen Mobilitätsformen selbst vertreten. Das BN-Konzept gestaltet den Verkehrsraum aufgrund bestehender Stadtratsbeschlüsse neu. „Der Schwerpunkt liegt darauf, den Umweltverbund aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Rad- und Fußverkehr zu fördern.“20
Wirtschaftsreferent Baumgärtner verteidigt sein Vorgehen. Clemens Baumgärtner (CSU), Chef des Referats für Arbeit und Wirtschaft, sagte zum Konflikt mit den Bezirksausschüssen: „Es gibt für die Bezirksausschüsse kein Anhörungsrecht für einen hypothetischen Fall, nur wenn konkrete Plätze angefragt werden. Doch das ist bisher nicht der Fall.“21 Dagegen äußerte Ruth Gehling (Grüne) vom BA Maxvorstadt: „Die IAA bestimmt, wo’s langgeht.“ BI-Chefin Svenja Jarchow (Grüne) äußerte dazu, die Vergabe der Innenstadt sei „verkauft“ worden.21 Baumgärtner dagegen sagte, die Innenstadt sei nicht verkauft worden, die Plätze würden nach geltenden Regeln bespielt: „Alles andere sei ebenso ‚Nonsens‘, wie die Unterstellung, dass da ’nur dicke SUVs gezeigt werden'“ und verwies auf den Corona-bedingten Milliardeneinbruch bei der Gewerbesteuer21
Nun sind die geheimen IAA-Verträge schon vor dem milliardenschweren Einbruch durch die Corona-Pandemie unterschrieben worden. Und wenn bislang noch keine konkreten Plätze angefragt wurden, wie Baumgärtner feststellte: Woher will man dann wissen, dass diese Plätze nach den geltenden Regularien bespielt werden?
„Klimaschutz und Nachhaltigkeit“. Vom 7. bis 12.9.2021 wird München von der IAA belegt: angeblich nicht zum Verkaufen von Verbrennermodellen, sondern als „Mobilitätsplattform der Zukunft“. Dazu werden sparsame und saubere Antriebe gezählt wie E-Modelle, synthetische Kraftstoffe und der Brennstoffzellen-Antrieb. Im Bereich „Summit“ sollen sich die Autokonzerne präsentieren. Im Bereich „Open Space“ sollen „Visionen, Innovationen und nachhaltige Mobilitätslösungen“ vorgestellt werden: Dazu werden auch Marien-, Odeons-, Max-Josephs-, Marstallplatz und die Residenz belegt. Bei der „Blue Lane“ über die A 94 bis Riem und die Prinzregentenstraße ins Zentrum wird jeweils eine Fahrspur für die IAA gesperrt. (Das erinnert fatal an die „Olympic Lanes“ der Olympischen Spiele für die Sportbonzen.) Der Bund Naturschutz wandte sich dann auch gegen die Deutungshoheit für Nachhaltigkeit durch die Autokonzerne. Andreas Groh vom ADFC kritisierte die exklusiven Fahrspuren für wenige High-Tech-Mobile.22
Automessen in der Kritik. Der Genfer Autosalon findet üblicherweise im März statt. 2020 wurde wegen Corona gestrichen. 2021 wurde gestrichen – offizielle Begründung: ebenfalls die Corona-Pandemie. Aber viele Autokonzerne haben ihre Teilnahme gestrichen. Die Detroit Auto Show (North American International Auto Show, NAIAS) wird zeitlich in den Juni verlegt und umgeplant. Sie soll nun vom 19. bis 26. Juni 2021 stattfinden. Allerdings haben einige Autokonzerne ihre Neuheiten lieber auf der Technikmesse CES in Las Vegas gezeigt. Die IAA 2019 in Frankfurt war von Protesten von Klimaschützern begleitet. Deshalb verlegt der VDA nun seine Messe nach München.23
Und München macht fröhlich mit und weiter.
VDA-Präsidentin in München. Hildegard Müller, Vielzweck-Funktionärin (Bundeskanzleramt, BDEW, RWE, jetzt VDA) auf die Frage, ob München nicht jetzt schon ziemlich voll sei – auch ohne IAA: München sei eben eine „pulsierende und faszinierende Stadt“.24
Was man eben so sagt, wenn man nicht antworten möchte.
BN-Kreisgruppe München protestiert. Christian Hierneis, der Kreisgruppenvorsitzende, schrieb in einer Pressemitteilung: „Der Automobil-Lobbyverband VDA und die IAA-Organisatoren wollen die Stadt München an der Nase herumführen. Wer noch immer geglaubt hat, die Internationale Automobilausstellung 2021 in München würde partnerschaftlich ablaufen, sollte jetzt endlich aufgewacht sein. Die VDA-Vertreter versprechen Transparenz und geben gleichzeitig keine einzige belastbare Information zur geplanten Auto-Präsentation auf den öffentlichen Plätzen der Stadt preis. Die Stadt München und ihre gewählten VertreterInnen sollen für dumm verkauft werden. (…) Wie heute der Presse zu entnehmen ist, versprachen der Münchner Wirtschaftsreferent Baumgärtner (CSU) sowie VDA-Vertreter bei Sitzungen der Innenstadt-Bezirksausschüsse zwar einen intensiven Austausch, Details über das Konzept der IAA auf den öffentlichen Plätzen wurden jedoch nicht genannt. Eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wurde sogar erst für den Zeitpunkt in Aussicht gestellt, wenn die konkrete Planung für die öffentlichen Plätze abgeschlossen sei. Dass danach überhaupt noch ein substantieller Einfluss aus der Bürgerschaft geltend gemacht werden kann, darf aus Sicht des BN getrost bezweifelt werden. Ruhig stellen statt Beteiligung, scheint das Konzept von VDA, der Messe München und des Münchner Wirtschaftsreferenten zu sein, allen anders lautenden Äußerungen zum Trotz. Die IAA bleibt die Show eines Automobil-Lobbyverbandes. Sie ist nicht die Plattform, auf der eine nachhaltige Mobilität der Zukunft verhandelt wird. Der VDA ist zudem nicht der richtige Akteur, um diese Diskussion zu führen. Nachhaltige Mobilität ist keine Überraschungspackung, dessen Inhalt vom Willen eines Automobilverbandes abhängig ist. Sie ist vielmehr Ergebnis einer öffentlichen Diskussion in der Bürgerschaft. Der BUND Naturschutz fordert deshalb die Stadt München auf, sich dieses Spiel nicht länger gefallen zu lassen.“25
IAA soll genutzt/benutzt werden. Die Stadtrats-Fraktionen von SPD und Volt wollen anhand der IAA die Verkehrswende erlebbar machen und in der Münchner Innenstadt moderne und klimaneutrale Mobilitätskonzepte präsentieren, wie sie in einem Antrag an OB Dieter Reiter (SPD) skizzierte. Gedacht ist an einen Boulevard Sonnenstraße, eine autoreduzierte Altstadt, einen Isarboulevard, eine Radlnacht auf dem Mittleren Ring.26
Der Versuch, die IAA zu einem autofernen Forum umzufunktionieren, erinnert etwas daran, auf einer Alkoholmesse Milch- und Limostände zu propagieren.
Kleine Neuigkeiten. Der Wirtschaftsreferent Münchens, Clemens Baumgärtner (CSU), VDA-Geschäftsführer Martin Koers und die IAA-Projektleiterin der Messe München, Christine von Breitenbach, informierten den Bezirksausschuss Maxvorstadt über geplante Ereignisse bei der vom 7. bis 12.9.2021 geplanten IAA München. Großzügiges Versprechen von der Vertreterin der Messe München: „Es soll kein Autohaus in der Innenstadt werden.“27 Ansonsten gab es nicht viel Konkretes. Die IAA soll sich von einer reinen Automesse zu einer Mobilitätsplattform wandeln, versprach der VDA-Vertreter: natürlich mit nachhaltiger Mobilität. Ein Teil der Mobilitätsplattform wird die Maxvorstadt. Es wird vermutlich eine Bühne am Marienplatz und eine am Königsplatz geben. Die Briennerstraße könnte zur Mobilitätsstraße werden – mit verschiedenen E-Bikes, E-Scootern und anderen Innovationen zum Testen. Baumgärtner appellierte an den Bezirksausschuss, der Industrie zu vertrauen, denn die Macvorstadt soll nicht verschandelt werden. Die CSU-Fraktion im BA freut sich über die IAA im Viertel und glaubt, viele Maxvorstädter würden sich ebenfalls freuen.27
Im Hofgarten: Keine Kultur, aber die IAA. Im Oktober 2020 wollte der Lyriker Tristan Marquardt eine Lesung machen. Da Innenräume des Kunstvereins wegen der Corona-Pandemie nicht infrage kamen, wollte Marquardt die Lesung in den Arkaden des Kunstvereins, die vor dem Hofgarten liegen, durchführen. Eine erste Anfrage bei der Hausherrin, der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, wurde abschlägig beschieden, da Hofgarten und Arkaden „keine ausgewiesenen Veranstaltungsfläche“ seien. Außerdem sei der Charakter „als Gartenkunstwerk zu erhalten und zu schützen“. Eine zweite Anfrage von Münchner Kulturreferat wurde Monate später, am 2.10. ebenfalls abschlägig beschieden: Das war genau der Tag, an dem die Lesung hätte stattfinden sollen. Dann wurde bekannt, dass der Hofgarten von der IAA im September 2021 genutzt werden wird. Die Hofgartenstraße wird, so das Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, „für die Präsentation von Neuheiten bei Fahrrädern und E-Bikes“ genutzt.28 Schließlich wird die IAA den Freistaat „weit über seine Grenzen hinaus“ repräsentieren.“ Und außerdem wurde seitens des Ministeriums ganz offen kommuniziert: „Für kulturelle Veranstaltungen wird ein deutlich niedrigeres Mietentgelt erhoben.“ Dazu SZ-Autorin Antje Weber: „Anders gesagt: Die lohnen sich nicht, und repräsentativ sind sie auch nicht.“28
- Balser, Markus, Hägler, Max, Wenn Idole vorfahren in SZ 28.1.2020 [↩]
- Rost, Christian, Autos, wohin man blickt, in SZ 15.1.2020 [↩]
- Bayern wird Messe-Meister: Die IAA findet ab 2021 in München statt, in spiegel.de 3.3.2020 [↩]
- Fuchs, Ingrid, Flugtaxis und exklusive Spuren für Messebesucher, in SZ 5.3.2020 [↩]
- Hägler, Max, Automesse: München wird neuer Austragungsort der IAA, in sueddeutsche.de 3.3.2020 [↩]
- Weiterführung der IAA ist falsches Signal für Klimaschutz und Verkehrswende, PM, München 3.3.2020 [↩]
- Für 500 Millionen Euro: Scheuer plant Mobilitätszentrum in München, in spiegel.de 7.3.2020 [↩] [↩]
- Schubert, Andreas, Mobilität beansprucht viele zentrale Plätze, in SZ 7.5.2020 [↩] [↩] [↩]
- Schubert, Andreas, Mobilität beansprucht viele zentrale Plätze, in SZ 7.5.2020; identisch: Schubert, Andreas, IAA will doch nicht in den Olympiapark, in SZ 7.5.2020 [↩]
- Krass, Sebastian, Niewel, Gianna, In bester Lage, in SZ 10.3.2020 [↩] [↩]
- Krass, Sebastian, Niewel, Gianna, In bester Lage, in SZ 10.3.2020; Hervorhebung wz [↩]
- Mühleisen, S., Schubert, A., Beschwerde gegen IAA-Beschluss, in SZ 8.5.2020 [↩] [↩]
- Mühleisen, S., Schubert, A., Beschwerde gegen IAA-Beschluss, in SZ 8.5.2020. Doch da gibt es die geplanten HOV – wie die „Olympic Lanes“ beim IOC. Und weitere Sonderberechtigungen werden sich kurz vor der IAA 2021 herausstellen: ebenfalls wie beim IOC üblich [↩]
- Schubert, Andreas, Zugeständnisse statt Dialog, in SZ 8.5.2020 [↩]
- Rückwärtsgang, in SZ 15.5.2020 [↩]
- Mühleisen, Stefan, Entscheidung im „Hinterzimmer“, in SZ 25.5.2020 [↩] [↩]
- Aufbegehren gegen Autoschau, in SZ 28.5.2020 [↩]
- Graner, Nicole, Methode „Friss oder stirb“, in SZ 9.6.2020 [↩] [↩] [↩] [↩]
- DPA, Messe IAA mindestens zwei Mal in München, in SZ 16.6.2020 [↩]
- Bund Naturschutz, Kreisgruppe München, Living City Lab – Verkehrswende wird erlebbar, München, 10.7.2020. Vgl. auch: Eine IAA nicht nur für Autos, in SAZ 11.7.2020 [↩]
- Mühleisen, Stefan, Platz da, in SZ 25.6.2020 [↩] [↩] [↩]
- Hägler, Max , Schubert, Andreas, Platz da, hier kommt die IAA, in SZ 2.7.2020 [↩]
- Vgl. auch: Hägler, Max, Schubert, Andreas, Platz da, hier kommt die IAA, in SZ 2.7.2020 [↩]
- Fromm, Thomas, Autofreundin, in SZ 6.8.2020 [↩]
- BN Kreisgruppe München, PM: IAA-Organisatoren geben weiter keine Informationen preis, München, 25.9.2020 [↩]
- Alle Alternativen zum Auto, in SZ 7.10.2020 [↩]
- Hudelmaier, Leonie, „Kein Autohaus in der Innenstadt“, in Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 12.10.2020 [↩] [↩]
- Weber, Antje, Automesse ja, Gedichte nein, in SZ 24.10.2020 [↩] [↩]